«lust voor het herte, playsier der ooghen, cieragie in onse kamers en huysen», Trix und Robert Haussmann arbeiten mit Stoff, in: Gabriela Güntert, Bruno Maurer, Arthur Rüegg (Hg.), Trix + Robert Haussmann Kultur der Formgebung, Zürich 2017, S. 143-153.
Ein Interieur, ein Zimmer, dem Blick nur deshalb zugänglich, weil der Vorhang, der es unserer Schaulust entziehen würde, zum rechten Bildrand hin aufgezogen ist. Der Vorhang changiert im Licht zwischen Hell- und Dunkelgrün, an seiner Oberfläche glatt und glänzend, stellt er wohl Taft oder Taftseide dar. Die Falten reichen räumlich in die Tiefe des Bildes und zugleich bauschen sie sich in unsere Richtung. Materialität und Farbigkeit entsprechen den Empfehlungen von Giulio Mancini, der 1628 in seinen Considerazioni sulla pittura grünen Taft oder Taftseide vorschlägt, um Bilder vor Staub und Licht zu schützen und um bei zurückgezogenem Vorhang den Blick möglichst wenig zu stören.1 So zitiert der Vorhang die realen Textilien, die in vielen Kunstsammlungen des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden Verwendung fanden. Er ist ein Trompe-l’œil.
In seinen sich kreuzenden Falten scheint das Echo der Bewegung des Zurückziehens immer noch präsent. Aber wer hat ihn zurückgezogen? Wir selbst oder die junge Frau, die im Zimmer steht und einen Brief liest? Das ist nicht zu entscheiden, denn wo die Stange befestigt ist, an der er mit Messingringen aufgehängt wurde, bleibt im Verborgenen. Der Vorhang ist der Logik eines bestimmten Ortes entzogen. Dieser Kunstgriff trägt dazu bei, dass wir das Textil als Trompel’œil akzeptieren. Weder in unserem !aum, dem !aum der Betrachter, noch im Zimmer der jungen Frau ist er wirklich «zuhause». Er ist ein Schwellenmedium. Er aktiviert die !änder des Übergangs von einem !aum zu anderen und damit die Lust zu schauen und ist doch zugleich wegen der fehlenden Verortung das Künstlichste in diesem Bild einer Briefleserin am offenen Fenster von Johannes Vermeer. Gemalt um 1657 in Delft, in den Niederlanden, einem Land, in dem zu dieser Zeit viele Wohnhäuser überaus reich mit Bildern ausgestattet waren, welche die eigene Kultur des Wohnens und Lebens thematisierten. Warum? Auf keinen Fall nur, um moralisch belehrt oder intellektuell gebildeter zu werden. Cornelis Biens fasste es 1636 knapp zusammen: Bilder werden gemalt und aufgehängt und betrachtet für die «lust voor het herte, playsier der ooghen, cieragie in onse kamers en huysen» – Freude für das Herz, Vergnügung der Augen, Zierrat in unseren!äumen und Häusern. 2
Es ist sehr still. Vielleicht ein später Nachmittag, das Licht ist zwar noch hell, aber schon leicht gerötet. Am grünen Vorhang vorbei blicken wir über einen Tisch hinweg auf die bereits erwähnte junge Frau. Zwischen ihr und uns breitet sich über dem Tisch ein prächtiger Perserteppich aus, in starken Falten drapiert, einen Porzellanteller mit Früchten darbietend. Die junge Frau liest einen Brief. Konzentriert und aufmerksam hält sie den Bogen mit beiden Händen zum Fenster, von dem wir nur den Rahmen sehen und einen Teil des Gewändes. Es gibt noch eine zweite, kleinere Fensteröffnung über der ersten, die dafür sorgt, dass das hohe Zimmer in ein lebhaftes, aber zugleich auch ruhiges Lichtspiel getaucht wird. Der untere Fensterflügel, der weit ins Zimmer ragt, fängt in seinen bleigefassten kleinen Glasflächen die Spiegelung des Gesichtes der jungen Frau auf. Ein roter Vorhang, der oben auf dem Fensterflügel in dichten Falten liegt, hängt herab und ist durch die Scheiben sichtbar. Die junge Frau steht unbeweglich zwischen dem geschmückten Tisch und der hinter oder neben ihr aufsteigenden Wand des Zimmers. Eine verputzte Wand, so scheint es, glatt, aber von anderer Glätte als der grüne Taftvorhang, der uns immer wieder daran erinnert, dass wir nur Zuschauer der Szene sind. Das rötlich sandfarbene Licht, das die junge Frau umfängt, verbreitet sich auf dem Putz und verliert sich schliesslich nach oben in der grauen Höhe des Zimmers.
Würde die junge Frau den Brief zur Seite auf den Tisch legen und mit einem leichten Einatmen den rechten Arm heben, um das Fenster zu schliessen, dann müsste sie zuvor auf etwas achten. Sie müsste den roten Vorhang, der aus der Höhe des Zimmers herabfällt, vom Fensterflügel herunterziehen. Wahrscheinlich würde sie dies keine grosse Anstrengung kosten, denn der Stoff scheint zwar schwer, dennoch glatt und beweglich, vielleicht handelt es sich um Samt, etwas wärmer und weicher anzufassen als der grüne Vorhang aus Taft. Würde sie danach den Vorhang vor das Fenster ziehen, läge das Zimmer im Dunkel oder es herrschte ein rötliches, ein ruhiges Dämmerlicht.
Vielleicht zieht die junge Frau nun auch noch den grünen Vorhang zu. Sie greift damit in das Zwischenreich der Inszenierung und begrenzt dadurch unsere Schaulust. Doch wir haben immer noch die Möglichkeit, im kleinen, über der metallisch glänzenden Vorhangstange sichtbaren Ausschnitt den rötlichen Widerschein des Lichtes und die Tiefe und Höhe des Zimmers zu erahnen.
Die junge Frau wendet sich um, verlässt das Zimmer und schliesst hinter sich die Tür.